Medientechnik: Studios für eSports & Gaming

Freaks 4U Studio

Für die professionelle Übertragung von eSports und Gaming ist neben dem technischen Know-how vor allem Verständnis dafür erforderlich, wie Gamer ticken. Autor Alexander Heber hat die Berliner Studios der Freaks 4U besucht und einen Blick hinter die Kulissen der Berichterstattung im eSports geworfen.

Produktionsraum
Produktionsraum: Hier finden Sendeleitung, Ablaufredakteur, Bildmischer, Grafiker, Observer, Admin, Broadcast Engineer und Audiotechniker (normalerweise) zusammen. Wegen der Corona-Situation wurden einige Positionen in andere Produktionsräume verlegt, und es herrscht Maskenpflicht. (Bild: Alexander Heber)

Inhalt dieser Case Study:

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Kaum ein Wirtschaftszweig ist in den letzten Jahren so rasant gewachsen wie die Gaming-Industrie. Bereits jetzt übersteigen die Umsätze aus dem Gaming-Bereich jene von Film- und Musikindustrie zusammen. Zur Branche gehören nicht nur Konsolen- und Computerspiele, sondern auch Handy- und Tablet-Spiele. Hochrechnungen gehen von etwa 2,5 Milliarden aktiven Gamern aus. Viele von ihnen zocken nicht allein, sondern messen sich in Online-Multiplayer-Spielen mit Spielern aus aller Welt. Was vor 20 bis 30 Jahren mit LAN-Partys in den Wohnzimmern weniger „Computer-Nerds“ begann, findet heute für hohe Preisgelder vor einem Millionenpublikum statt.

Dieser kompetitive Gaming-Sektor läuft unter der Bezeichnung eSports (elektronischer Sport). Es gibt – wie in anderen Sportarten auch – regionale, nationale und internationale Ligen und Wettbewerbe. Professionelle Turniere werden für unterschiedliche Spiele ausgetragen, bekannte Online-Multiplayer sind zum Beispiel League of Legends, Fortnite, PUBG, DOTA 2 oder CS:GO (Counter Strike: Global Offensive). Die Preisgelder summieren sich zu hunderten von Millionen Dollar im Jahr – weltweit!

Solche Ligen und Turniere für interessierte Zuschauer in ansprechende Formate zu bringen, hat sich die Freaks 4U Gaming GmbH zur Aufgabe gemacht. Wir hatten die Möglichkeit, die Berliner Studios der Freaks 4U zu besuchen und einen Blick hinter die Kulissen der Berichterstattung im eSports zu werfen.

Besonderheit eSport

Zur Verdeutlichung zunächst eine kurze Situationsbeschreibung: Es ist Runde 33, das Match ist bereits in der Verlängerung. Es bleiben immer nur Sekunden für die Vorbereitung auf die nächste Runde, in dieser Zeit rüsten die Spieler ihre Charaktere aus, selbst dabei könnte man fatale Fehler machen, wenn man kein Profi ist. Der Puls steigt, die Hände werden feucht. Die letzten Reserven Konzentration werden zusammengekratzt und in rasend schnelle Augen/Hand-Koordinationen übersetzt. Nach ein paar Sekunden spielt man vielleicht in Überzahl, nur um diese nach wenigen Augenblicken wieder zu verlieren. Es geht um Spaß, Ehre, Sportsgeist, Stolz und … Geld: 10.000 € winken dem Gewinnerteam im Finale der hauseigenen CS:GO „99LIGA“. Die Atmosphäre, Spannung und den Adrenalinkick aus solchen Turnieren an Zuschauer zu vermitteln, ist Herzenssache für die Freaks 4U, die fast täglich in ihren Studios in Spandau produzieren.

Es ist 17 Uhr, das Turnier läuft bereits seit ein paar Stunden und kann noch bis in den späten Abend dauern – vorbei ist es erst, wenn das Siegerteam feststeht. Wir reden also auch im eSport von sehr langen Produktionen, die konstant anspruchsvoll übertragen werden wollen. Für dieses Event wurden insgesamt 169.000 Views und 5.700 gleichzeitige Zuschauer in der Spitze verzeichnet. Aber was genau erwartet die Zuschauer bei einer solchen Übertragung?

Freaks 4U Studio
Im größten der drei Hauptstudios sind zwei Setups parallel aufgebaut; eines der beiden darf noch nicht fotografiert und veröffentlicht werden. In allen größeren Studios wird mit Spots und Cineflows von ARRI für die richtige Beleuchtung gesorgt. (Bild: Alexander Heber)

Vom Gamer zum Viewer – welche Signale sind im Spiel?

Die meiste Zeit sind wir Zeugen des „In-Game-Geschehens“. Im Falle von CS:GO finden sich zwei Teams zu je fünf Spielern auf einem Server zusammen und treten dort auf einer Map (Karte/Spielfeld) gegeneinander an. Es gibt verschiedene Maps, und die Spieler kennen diese wie ihre Westentasche. Wir sehen Egoperspektiven einzelner Spieler im Wechsel, Kamerafahrten über die Map und eine Übersicht, wessen oder welche Perspektive die Kamera gerade widerspiegelt. Das hauptsächliche Signal wird also virtuell gemischt. Der sogenannte Observer loggt sich auf dem gleichen Server wie die Spieler ein und mischt per Tastatur die verschiedenen Kameraperspektiven. Für den einen oder anderen Tastaturbefehl kommt auch ein Stream Deck zum Einsatz.

Freaks 4U Studio
Die Hauptstudios sind für ständig wechselnde Designideen und Brandings konzipiert – so
wie hier mit Branding für das eigene Ligafinale.
(Bild: Alexander Heber)

Man muss sich tief in das Spielgeschehen und die Spielumgebung eindenken, um der Observer-Rolle gerecht zu werden. Ein Gefühl dafür, wo die Teams am wahrscheinlichsten aufeinandertreffen, sowie ein rasches Erfassen strategischer Entscheidungen der Teams, sind unabdingbare Fähigkeiten, um „virtueller BiMi“ sein zu können. Diese Aufgabe wird nicht selten auf zwei Observer aufgeteilt und an dieser Stelle das erste Mal mit einem der vielen Blackmagic-Design-Mischern des Studios vorgemischt. Das entlastet sowohl die Sendeleitung als auch die Tontechniker, da nur noch von einem In-Game-Signal die Rede ist.

Das In-Game-Signal kann allerdings auch ganz anders zustande kommen. Große Battle-Royal-Turniere (quasi „Jeder gegen Jeden“) sind doch anspruchsvoller. Freaks 4U hat eine Kooperation mit Twitch und überträgt zum Beispiel die „Twitch Rivals“ für unterschiedlichste Sendeformate. Für solche Events kommt ein Twitch-eigener Server zum Einsatz, welcher zwar in den Studios platziert ist, aber ausschließlich online durch Twitch-Personal gewartet wird. Aus diesem Server fallen bei einem Fortnite-Turnier mal eben um die 90 synchronisierte, der Fairness halber mit Delay versehene Spielersignale. Alle Signale aus dem Server werden dann vor Ort auf Mischer gepatcht und gemischt. Auf den großen Studioflächen gibt es dann Kommentatoren-Booths für verschiedene Sprachen, und es entstehen neben dem World-Feed auch Feeds mit Kommentar für verschiedene Länder und Sprachen. Die Prozesse lassen sich also durchaus mit denen internationaler Fußballübertragungen vergleichen.

Freaks 4U Studio Streamingstudio
Flexibel: In den kleineren Streamingstudios können Kommentatoren autark agieren – in
diesem Fall sogar mit Greenscreen.
(Bild: Alexander Heber)

Die Optionen, auf die Observer zugreifen können, variieren je nach Spiel. So gibt es bei „League of Legends“ eine Timeline, in der man scrollen und Ereignisse wiederholen kann. Im Falle von CS:GO gibt es diesen Luxus jedoch nicht. Stattdessen kommt einer der beiden Replay-Server von Simply Live für diese Aufgaben zum Einsatz.

Wenn die Spieler von zu Hause aus an den Events teilnehmen, ist das In-Game-Signal am nächsten an den Spielern dran. Die „älteren“ Studioflächen bieten allerdings auch ausreichend Platz, um als eigentlicher Austragungsort für Turniere zur Verfügung zu stehen. Hier können sich die Spieler dann direkt gegenübersitzen, „Facecams“ von Marshall fangen Emotionen direkt an der Quelle ein. Sollte die Fläche doch nicht reichen und das Event in einer anderen Location stattfinden, so gibt es Studio-Equipment – größtenteils fertig konfiguriert – in Flightcases. Diese „Ready to go“-Einrichtungen kommen aber auch im eigenen Haus zum Einsatz, wenn es für die Produktion von Vorteil ist.

Sowohl das In-Game-Signal als auch die Studioquellen werden mit Grafiken und Overlays aufgewertet. Sponsoren finden so einen festen Platz in der Übertragung. Als CG-Generatoren dienen Server mit Softwarelösungen von CharacterWorks. Diese spielen über Blackmagic Designs Decklink-Karten Key & Fill-Signale in die entsprechenden ATEM-UHD-Mischer.

TEM Constellation 8K von Blackmagic
Das Herz der Studios: Drei ATEM Constellation 8K von Blackmagic Design zusammen mit einem Crosspatch aus dem Hause Evertz. (Bild: Alexander Heber)

Wer dem Spielgeschehen folgt, wird mit dem Bildsignal nicht alleine gelassen, denn die Matches werden kommentiert. Dem ungeübten Auge fällt es vermutlich schwer, auf Anhieb zu verstehen, was genau passiert. Die Spiele finden in einer beeindruckenden Geschwindigkeit statt, und man muss schon etwas vom Spiel verstanden haben, wenn man den ebenso rasanten Ausführungen der Kommentatoren folgen möchte. Bei unserem Event wird zu zweit kommentiert: Die Kollegen stehen in einem der Studios hinter einer Kommentatorenbrücke mit Preview-Bildschirmen und kommentieren mit Broadcast-Headsets HMD 27 von Sennheiser. Bei etwas längeren Spielpausen bekommen die Zuschauer die Kommentatoren auch zu Gesicht und blicken in die Kulisse eines der flexiblen Studios.

Signalwandlung und Überwachung Blackmagic Design
Zur Signalwandlung und Überwachung kommt weitere Technik von Blackmagic
Design zum Einsatz, wie Teranex, Smart-View oder Hyperdeck. Die Intercom-Lösung kommt von Riedel und bindet natürlich auch den ZGR an.
(Bild: Alexander Heber)

Natürlich gilt es auch, vorproduzierten Content abzuspielen. Für das Zuspiel von Reportage-Clips, Werbung und ähnlichem Content kommen Server mit Ausspiellösungen von Insta Playout zum Einsatz. Bei einer Sportübertragung dürfen natürlich Interviews mit Spielern nicht fehlen. Die Videoanrufe werden über den Online-Dienst Discord oder die Live-Interview-Lösung vMix-Call durchgeführt. Mit beiden Tools können auch Konferenzen mit mehreren Spielern abgehalten werden. Vor, zwischen und nach den Matches wird das Geschehen noch einmal genauer unter die Lupe genommen und diskutiert. Hierfür gibt es wieder verschiedene Möglichkeiten, die Studios einzurichten – ob nun auf einer Couch vor der 1,9-mm-LED-Wand oder am Tresen vor einer Monitor-Wall diskutiert wird, hängt von der jeweiligen Produktion ab.

Freaks 4U-Hauptstudios

In den letzten zwei Jahren hat die Freaks 4U Gaming GmbH über 6 Millionen Euro in neue Studiotechnik investiert. Es sind drei Hauptstudios entstanden, von denen eines nativ in 4K operiert. Damit ist es eines von nur zwei eSports-Studios weltweit, welches nativ in 4K produzieren kann. Die anderen beiden Hauptstudios können auf 4K umgerüstet werden. Dafür benötigt es nur 4K-Objektive auf den URSA-Kamerazügen von Blackmagic Design, und schon ist auch hier die Sendekette nativ in 4K möglich. Die URSAs sind allesamt mit Camera-Fiber-Convertern ausgestattet und werden über SMPTE-304-Verbindungen im ZGR (Zentralen Geräteraum) zusammengeführt.

Die Studios sind vollklimatisierte Raum-in-Raum-Installationen. Die Luft zirkuliert wie in einem umgekehrten Kamin und wird hinter den Wänden des inneren Raumes getauscht und klimatisiert. So entsteht ein angenehmes Klima ohne störende Geräuschkulisse. Das Raum-in-Raum-Prinzip ist nötig, um die Studios akustisch vom Rest der Immobilie zu trennen.

Die Inneneinrichtung ist auf Flexibilität geeicht, denn die Studios bleiben nie lange im gleichen Design. Eventtitel, Sponsoren und Eventfarben ändern sich ständig. Viele Dekoelemente werden extra für einzelne Übertragungen angefertigt, aber auch mithilfe von Monitoren, Steglos- oder LED-Wand kann neu gebrandet werden. Zudem gibt es RGB-LED-hinterleuchtete Stellwände, welche auch mit neuen Designs versehen werden können.

Freaks 4U Studio
Für den Einsatz in der 2.800 mA großen Produktionshalle oder für Außenproduktionen
stehen vollausgestattete Studioracks bereit, um einer Plug&Play-Lösung auch im mobilen
Alltag möglichst nahe zu kommen. Wie auch in der Festinstallation vertraut man auf Audiomischer Allen & Heath S7000.
(Bild: Alexander Heber)

Zu den Hauptstudios gehören drei Produktionsräume. Welche Signale im Produktionsraum gesteuert werden, wird über einen intelligenten TSL-Controller festgelegt. Dieser „weiß“, welche Signale an welcher Stelle zusammenlaufen und übernimmt unter anderem das Umschalten der „160 × 160“-Evertz-SDI-Kreuzschiene, der Blackmagic Design „40 × 40“-SDI-Kreuzschiene oder des „96 Input auf 12 UHD Output“-Evertz Multiview-Controllers. Es reicht dann der Befehl „Signal X auf Multiview Y“, und der TSL-Controller übernimmt alle nötigen Schaltungen dazwischen.

Das Bildsignal wird auf ATEM Constellation 8K gemischt. Von diesen vier M/E-Mischern finden wir allein drei im ZGR und weitere in denn mobilen Studiocases. Darüber hinaus kommen auch kleinere Varianten aus der ATEM-Reihe zum Einsatz, wie zum Beispiel der ATEM 2 M/E Production Studio 4K oder auch der ATEM Mini. In fast allen Studios auf dem Gelände finden wir das ATEM 2 M/E Broadcast Panel als Bedienpult.

Zusätzlich zu den neuen Studios ist die große Produktionshalle, in der der Studiobetrieb angefangen hat, weiterhin in Betrieb. Zusammen mit den Mitteln aus den mobilen Studiocases kann auch hier die Technik für größere Events erweitert werden. Für die Übertragung kleinerer Streams stehen über zehn weitere Studios zur Verfügung, die zum größten Teil selbstständig von den Kommentatoren oder nur einem Techniker bedient werden können. Von der Kommentierung kleinerer Ligaspiele über die Austragung von Wettbewerben direkt vor Ort bis hin zur internationalen Schaltzentrale für großangelegte eSports-Veranstaltungen kann also alles abgedeckt werden.

Zentraler Geräteraum & Produktionsräume

Bei der Planung für den Bau weiterer Studios gab es klare Prämissen. Die Produktionsräume sollten nur das Nötigste an Technik beherbergen, die neuen Ressourcen sollten flexibel einsetzbar sein, und nicht zuletzt war da noch das Thema Redundanz. Als die ersten Liveübertragungen für Pro7-Formate zur Prime Time produziert wurden, mussten noch Aggregate als Redundanz versorgt werden. Heute wird ein möglicher Stromausfall mit einem Cluster aus DataSafe-Batterien abgefangen. Damit kann ein einzelnes Studio noch für 5 bis 6 Stunden mit Spannung versorgt werden.

Für die Sicherheit im Up- und Download wird mit zwei parallelen 1-Gigabit-Internetanbindungen gesorgt. Diese werden zudem von unterschiedlichen Anbietern aus zwei verschiedenen Versorgerstellen bereitgestellt. Für die Codierung in Streamingsignale setzt man auf Geräte von Intinor in den Hauptstudios und auf Epiphan in den kleineren Studios. Die Rechner zur Bearbeitung nahezu aller Produktionsschritte sind ebenfalls im ZGR untergebracht.

Der Zugriff auf die Geräte erfolgt über IP-basierte KVM-Extender von Black Box. Die Produktionsräume sind so schlank wie möglich gehalten. Die Tische sind Sonderanfertigungen und bieten Platz für Sprechstellen und wesentliche Racks. Die Arbeitsprozesse lassen sich über mehrere Produktionsräume verteilen, um ein optimales Ausnutzen der Ressourcen zu ermöglichen.

„Direkt Link“-Encoder von Intinor
Die „Direkt Link“-Encoder von Intinor können in mehreren Bitraten gleichzeitig encodieren und verfügen über einfache Videomix-Funktionen. Der „Direkt Router“ kann Streams auf Fehler überprüfen, in andere Netzwerke verteilen u.v.m. (Bild: Alexander Heber)

Herausforderungen und Entwicklung

Das selbstbewusste Investment in eSports-spezialisierte Produktionsstätten ist ein Schritt, der sich auszahlen sollte. Trotz der rasanten Entwicklung auf dem Gebiet ist der Markt noch lange nicht komplett gesättigt. Die extreme Spezialisierung in den einzelnen Kategorien schafft bei potenziellen Sponsoren und Werbetreibenden Bedarf nach Spezialisten, die sich mit der Materie auskennen.

Auch die Veranstaltungsbranche wird sich weiter an die Bedürfnisse der eSports-Welt anpassen. Hier gibt es noch Bedarf an technischen Lösungen, und auch ganze Berufsgruppen könnten sich neu spezialisieren. So besteht beispielsweise gelegentlicher Bedarf nach Simultandolmetschern, um bei internationalen Events einen sauberen Ablauf von Kommentar- und Live-Geschehen sicherstellen zu können. Doch Dolmetscher mit einer derartigen Spezialisierung sind rar. Die eSports-Szene wird weiter wachsen, und Liveübertragungen aus dem Genre werden mit dem Generationenwechsel in die Mitte der Gesellschaft rutschen. In der Welt digitaler Events werden eSports-Veranstaltungen eine spannende Rolle einnehmen und uns in den nächsten Jahren noch viele interessante Anforderungen und Neuerungen bescheren.


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