Uwe Röddinger zum Evergreen-Thema

Kolumne: Ausschreibungen – Bonmots der Leistungsbeschreibungen

Ich hätt’ da gerne mal ein Problem! Diese Formulierung stammt – glaube ich – vom Radio-Comedian Robert Treutel alias Bodo Bach, bekannt durch „Scherzanrufe“, u. a. bei ahnungslosen Firmen. Ich werde zwar nicht per Telefon bespaßt, sondern per E-Mail: Und zwar in Form von Ausschreibungen, die Händler mit der Bitte um Angebotsunterbreitung an uns schicken.

Uwe Röddinger
Uwe Röddinger (Bild: Comm-Tec)

Die Bearbeitung von 2.000 Seiten langen Leistungsbeschreibungen reduziert sich für uns Gott sei Dank auf 800 Seiten, da wir die ersten 1.200 Seiten der allgemeinen Vertragsbedingungen nicht durchlesen. Es sei denn, in einer Produktbeschreibung tauchen Querverweise auf. Aber 800 Seiten sind ja auch schon ganz nett. Wie wir alle wissen, gibt es Leistungsbeschreibungen, in denen explizit ein Gerät eines bestimmten Herstellers gefordert wird.

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Die gehen am schnellsten, ratzfatz bin ich da durch: 800 × 30 Sekunden. Dann gibt es die mit sogenannten „Leitprodukten“: Hier fängt es für mich an haariger zu werden. Aber den mit Abstand größten Arbeitsaufwand stellen die anderen dar, die „funktionalen Leistungsbeschreibungen“. Hier beschreibt der Planende die aus seiner Sicht notwendigen Funktionen (von Geräten) für ein Projekt. Theoretisch jedenfalls. Manchmal werden aber einfach nur die Daten der Geräte aus dem Internet kopiert oder Ausschreibungstexte von Herstellern und Vertrieben kritiklos verwendet.

Da aber nach den Regeln der diversen Vergabeordnungen ein Anbieter genau darauf achten muss, jede dieser Funktionen auch wirklich mit dem von ihm angebotenen Gerät realisieren zu können, werden Leistungsbeschreibungen manchmal skurril. Es führt dazu, dass ein 8-Port Switch für 128 € inkl. MwSt. die lächerliche Zahl von 357 Funktionen auflistet. Und ich darf jetzt, um ein Produkt aus unserem Portfolio für meinen Händler auszusuchen, meine Switche daraufhin untersuchen, ob sie allen Anforderungen genügen. Und das für den Betrag, der von dem Endkundenpreis von 128 € inkl. MwSt. für uns als Distributor übrig bleibt. Sie und ich wissen: Werden wir bei einem Punkt erwischt – z. B. wenn unser Produkt nur /7 und /9 kann, aber nicht /11b – kann es passieren, dass Sie aus der Bewertung rausfliegen und ich mir Ihren Zorn zuziehe.

Aber haben wir/Sie eine Wahl? Nö. Also Augen zu und durch, wie es bei der Bundeswehr vor Frau von der Leyen hieß. Augen zu? Aber auf gar keinen Fall! Denn dann würden Ihnen die folgenden Bonmots entgehen! Bevor es losgeht, erlauben Sie mir einen Hinweis: Das ist nicht etwa die Sammlung der letzten 20 Jahre. Die folgenden Zitate stammen alle aus aktuellen Leistungsbeschreibungen der letzten drei Monate, sind aus dem D-A-CH-Raum und real existierende AV-Projekte! Sind Sie bereit? Auf geht’s:

Motorleinwand

/ Ohne schwarzen umlaufenden 5 cm-Rand

Gut, das ist einfach. Wären es 4,2 cm oder 2″, dann hätte ich ein Problem.

Motorleinwand

/ Der Projektionswand verfügt über die CE-Kennzeichnung und erfüllt die strengsten Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen gemäß.

… gemäß. Gemäß Punkt? Was bitte soll ich hier anbieten? Natürlich haben wir die DIN19045 Strich irgendwas und auch die neue DIN56950-4, aber sind die streng?

Trennrelais

/ 5A/250V AC, für ein oder zwei 230V-Motoren, Stand-by-Verlust nur 0,7 Watt

Upps! Hier komme ich an meine Grenzen. Lassen wir das mit den zwei Motoren mal außen vor: Was zur Hölle ist ein Stand-by-Verlust bei einem Relais?

Großbildprojektor

/ Projektionssystem: 3LCD-Technologie, RGB Flüssigkristallverschluss

/ LCD-Bedienfeld: 0,76″ mit C2 Fine

Das ist einer meiner Lieblinge! Liebe ausschreibende Fachkraft, meine Kollegen und ich planen und arbeiten typisch nach dem 4-Augen-Prinzip: Röddinger schreibt was, Andreas Klein prüft es! Habt ihr so was nicht? Okay, überall müssen Kosten gespart werden, aber mal ganz ehrlich: Wissen Sie denn überhaupt, was ein Großbildprojektor tut und was ihn ausmacht? Ein Tipp: Ein 0,76″-Bedienfeld hätte eine Bedienfläche von 15,4 × 11,6 mm. 3 × 2 Kästchen auf Rechenpapier! Aber viel schlimmer: Was biete ich meinem Händler an? Keiner meiner Projektoren hat eine solche Funktion! Wir wissen alle, dass der Google-Übersetzer nicht immer gutes Deutsch schreibt, aber mit ein wenig Fachkenntnis … Es kann natürlich auch sein, dass der Lieferant des Ausschreibungstextes das verzapft hat. Aber auch hier: Mit ein wenig Fachkenntnis des Planenden …

Audioverstärker

/ Audiophiler 4 Kanal Leistungsverstärker mit

// Konvektionskühlung

// hoher Ausgangsleistung

// spezieller Kühlkörper

/ Die Komponenten müssen in audiophiler Qualität sein

/ Es muss ein Betrieb in Mono über Brücken möglich sein.

Wo bitte kann ich nachlesen, welche Leistungsverstärker audiophil sind? Schwierig, aber lösbar. Google wirft mir bei dem Suchbegriff „audiophil“ 255.000 Treffer in 0,43 Sekunden vor die Füße. Da wird ja wohl was dabei sein! Und dass der Kühlkörper für die audiophile Wiedergabe ausschlaggebend ist, wissen wir alle schon seit Jahrzehnten. Hohe Ausgangsleistung? Auch kein Problem! PMPO heißt das Zauberwort. Ein Plastikgehäuse, 90 g Gesamtgewicht, der richtige Kühlkörper (!) und ein Stecker-Netzteil und wir sind im Rennen! Dank PMPO. Dass die Bauteile von mir einzeln auf ihre audiophile Bauart hin untersucht werden, bevor ich mein Produkt anbiete, ist selbstverständlich. Aber an einer Sache scheitere ich: Mono über Brücken? Da gebe ich auf. Und bitte meinen Händler, mich von diesem Angebot zu entbinden. Oder halt! Besser, ich schreibe „Wir schaffen es leider nicht, die heute eingereichte Leistungsbeschreibung mit 800 Seiten bis morgen zu bearbeiten“.

Wenn Sie meine Recherche-Datenbank sehen könnten, Sie würden sich krümelig lachen! Da stehen noch ganz andere Bonmots drin. Aber da ich ja die Originaltexte nehmen wollte, wäre es zu einfach, die Verursacher per Google zu finden. Und das will ich nicht. Und ich will nicht ausschließen, dass auch wir in den letzten 20 Jahren unsere Bonmots beigetragen haben.

Was lerne ich nun daraus? Ausschreibungstexte sind eine Strafe! Richtig erstellt ist der Aufwand enorm und ich darf noch nicht einmal durch geschickte Formulierungen dafür sorgen, dass mein Produkt alle anderen unmöglich macht. Liebe Hersteller, die Sie Texte liefern: Fragen Sie mal einen Planer, wie ein korrekter Ausschreibungstext aussehen muss. Sie werden staunen, wie weit die meisten Ihrer Texte davon entfernt sind. Liebe Nicht-AV-Planer: Sie machen Ihr und mein Leben dramatisch besser, wenn Sie sich fachlichen Beistand holen! Und letzten Endes freut es Ihre Auftraggeber, wenn ein funktionsfähiges System nach der ersten Abnahme zur Verfügung steht. Einer geht noch?

Audio DSP

/ die Konfiguration erfolgt mit einer Software Applikation, die maßgeschneiderte Apps für spezielle Anwendungen auf die Plattform transferiert

Kein Kommentar. Ich habe fertig.


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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Was der liebe Röddinger da immer so wehleidig ist! 😉
    In der Alpenrepublik halten sich hartnäckig Ausschreibungstexte, die explizit volltransistorisierte Endverstärker fordern. Und damit ist, wie der Fachmann zumindest die vom alten Schlag noch weiß, keinesfalls die Verwendung integrierter Schaltkreise verboten, sondern der Planer legt Wert darauf, keinesfalls mit röhrenbetriebenen Verstärkern abgespeist zu werden. Auch die 5-polig DIN-Buchse zur Übertragung von symmetrischen Audiosignalen überlebte jede Mode und erfreut sich hoher planerischer Wertschätzung. Dass Mediensteuerungen da über ausreichend potentialfreie Kontakte zur Ansteuerung von Diaprojektoren bereithalten und Touchpanels mindestens 8 Graustufen vorweisen müssen, ist auch ein Quell periodischer Heiterkeit.
    Übrigens finden Juristen die 1200 Seiten Vortext genauso hirnlos wie wir die 800 Seiten Langtext. Auch diese sind meist genauso absured, nur wer will es sich schon mit einem Auftraggeber verscherzen?
    Kurzum: Der Fasching beginnt ohnehin schon bald…..

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  2. super Uwe, ich habe Tränen gelacht!!

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