Stadion-Upcycling

Aus alt mach (fast wie) neu: Stadionbeschallung Aachener Tivoli

Ein bemerkenswertes Beispiel zum Thema „Pimp my Stadionbeschallung“ findet sich im Aachener Tivoli: Vorhandene Aktivlautsprecher wurden in Bezug auf die Elektronik entkernt, neu vermessen und anschließend mit externen Endstufen verbunden, wobei im gleichen Atemzug ein betagtes Audionetzwerkprotokoll durch Dante abgelöst wurde. Das Maßnahmen-Gesamtpaket inklusive umfangreicher Neuverkabelung sorgt heute rund um das Fußball­feld für Sicherheit und überzeugt auch hinsichtlich der Kosten/Nutzen-Relation.

Aachener Tivoli aus der Ecke fotografiert
It´s not a bug, it´s a feature: Das tief heruntergezogene Trapezblech-Dach begünstigt einen Hexenkessel-Effekt. (Bild: Jörg Küster)

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Inhalt dieser Case Study:


Vergnügungspark, Lichtspieltheater, südkorea­nisches Automodell oder italienische Stadt – sobald der Begriff „Tivoli“ fällt, stehen rasch vollkommen unterschiedliche Assoziationen im Raum. Hiesigen Fußballfans kommt in aller Regel die Heimspielstätte von Alemannia Aachen in den Sinn, welche die Grenzstadt im äußersten Westen Nordrhein-Westfalens mit einem großzügig dimensionierten Stadion bereichert. 32.960 Plätze, davon 11.681 Steh­plätze, bieten reichlich Raum für Ballbegeis­terte und werden durch 1.348 Business-Seats sowie 28 Logen ergänzt.

Fußballfreund:innen schätzen den Umstand, dass sie in unmittelbarer Nähe zum Spielfeld sitzen oder stehen können: Die erste Zuschauer­reihe befindet sich gerade einmal 80 cm über Spielfeldniveau. Hinter den Toren sind Fans in der ersten Reihe nur 7,50 Meter vom Spielfeld entfernt, während es an den Seiten lediglich 6 Meter sind.

Das Aachener Tivoli ist Deutschlands größ­tes Ein-Rang-Stadion. Das markante gelbe Metalldach ist vergleichsweise tief platziert und befindet sich als Besonderheit unter der Tragekonstruktion, ist also nicht auf Letztere aufgelegt. Das Stadion wurde im August 2009 fertiggestellt und hat seither eine wechselvolle Geschichte durchlebt, die an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden soll.

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Ganz in Gelb …

Das Stadion besteht aus einem Materialmix, an dem Stahl, Beton und Glas wesentliche Anteile haben. Das tief heruntergezogene Trapezblech-Stadiondach bildet eine riesige Reflexionsfläche für Schall, was bei gutbe­suchten Spielen Anfeuerungsrufe und sonstige Begeisterungsbetätigungen der Fans außerordentlich präsent wirken lässt: Gezielt wird ein Hexenkessel-Effekt begünstigt, wenn sich Emotionen auf den Tribünen vieltausend­fach Bahn brechen.

Renkus-Heinz ST7M-Modelle links und rechts vorne im Bild im Aachener Tivoli
Richtungsweisend: Die kleineren ST7M-Modelle (hier links und rechts vorne im Bild) weisen leicht nach oben und beschallen die oberen Tribünenbereiche. (Bild: Jörg Küster)

Um mit der elektroakustischen Beschallung keine unnötige Anregung des Innenraums zu verursachen, sind die rundum verteilten Laut­sprecher auf die Publikumsflächen ausgerich­tet – dort stehende oder sitzende Fans bilden bei Spielen ein vorzügliches „Absorptionsmaterial“ (vulgo: Dämmfleisch) und sorgen dafür, dass das Dach für elektroakustisch er­zeugte Schallanteile nicht störend als Reflek­tor in Erscheinung tritt. Die Lautsprecherposi­tionen sind in Aachen durch fixe Hängepunkte an den schwarz lackierten Querträgern des Stadiondachs vorgegeben.

Renkus-Heinz Modelle ST7 und ST7M im Aachener Tivoli
Wie am Schnürchen: Die Modelle ST7 und ST7M (ohne Tieftöner, das „M“ steht für Medium) sind alternierend aufgehängt. (Bild: Jörg Küster)

Ursprünglich war im Tivoli eine passend dimensionierte Prosound-Anlage (so nennt sich das in Fußballtempeln …) von Renkus-Heinz installiert, welche von der als Systemintegrator auftretenden Scanvest Deutschland GmbH aus Köln-Frechen konzipiert und vom damaligen deutschen Distributor Atlantic Audio geliefert wurde. Verwendung im Innenraum des Stadions fanden (und finden) 57 Laut­sprecher mit gelber Sonderlackierung, darunter 17 × Renkus-Heinz ST7/94R, 17 × Renkus-Heinz ST 7M/94 und 12 × Sygma SG151. Die Modelle ST7 und ST7M (ohne Tieftöner; das „M“ steht für Medium) sind alternierend aufgehängt, wobei die kleineren Modelle leicht nach oben weisen und die oberen Tribünenbereiche beschal­len. Die Zweiwege-Systeme der Sygma-Serie hingegen beschallen die vier Tribünenecken (Fills). Weiterhin wer­den 6 × SG121 (Fullrange-Fill zur Beschallung der VIP- und Pressetribünen) und 5 × SG121 (Fullrange-Fill zur Beschallung hinter den Videowänden) verwendet. Bei den Lautsprechern handelte es sich zum Zeitpunkt der Auslie­ferung um Self-Powered-Modelle, die vormals über RHAON (Renkus-Heinz Audio Operations Network) angesprochen wurden und digitale Audiosignale via CobraNet erhielten.

Zweiwege-Systeme der Sygma-Serie von Renkus-Heinz in den Tribünenecken des Aachener Tivoli
Ab in die Ecke! Zweiwege-Systeme der Sygma-Serie beschallen als Fills die Tribünenecken. (Bild: Jörg Küster)

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Wasserschaden

Zehn Jahre nach der Installation machten sich in der Be­schallungsanlage Malaisen unterschiedlicher Art bemerk­bar, welche den Verantwortlichen Sorgenfalten auf die Stirn trieben – immerhin ist die Prosound-Anlage sicher­heitsrelevant, da sie im Fall einer eventuell erforderlichen Stadionevakuierung eine zentrale Funktion innehat. „Es bestand Handlungsbedarf, da wir zunehmend mit Ausfäl­len einzelner Komponenten zu kämpfen hatten“, berich­tet M.Sc. Wirtschaftsingenieur Jan Knörnschild. Knörn­schild ist im Rahmen seines Studiums aus Franken ins „Öcher Land“ übersiedelt und arbeitet heute im Tivoli als Projektleiter sowie als Referent von Geschäftsführer Bern­hard Deil. Mit Aufgaben rund um die Beschallungstechnik (und anderem mehr …) ist auch Stefan Reitz befasst, der unter anderem für Stromplanung und Leitungsverlegung verantwortlich zeichnet. Knörnschild und Reitz sind für die Aachener Stadion Beteiligungsgesellschaft mbH tätig. Die ASB ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stadt Aachen und kümmert sich seit 2015 um den kaufmännischen, technischen und organisatorischen Betrieb des Tivoli Stadions.

Audio-Verteilerschränke umringt von Gittern im Aachener Tivoli
Finger weg! Die neuen Verteilerschränke sind heute unterhalb des Dachs am oberen Ende des Tribünenbereichs platziert und werden von Gittern gegen Vandalismus geschützt. (Bild: Jörg Küster)

Jan Knörnschild lässt sich Details entlocken: „Immer wieder haben wir Endstufenmodule ausgebaut und in Solingen von Hermann Daun (früherer Werkstattleiter von Atlantic Audio; Anm. d. Red.) reparieren lassen. In diesem Zusammenhang wurde klar, dass die Probleme mit den Aktivlautsprechern vorrangig auf dem Eindringen von Feuchtigkeit beruhten.“ Zwar waren die Elektronik-Module passend zum Outdoor-Einsatzort mit Silikon ab­gedichtet, doch der für CobraNet gedachte Abschnitt er­wies sich als Schwachstelle, über welche Wasser Zugang zum Boxeninneren fand – steter Tropfen höhlte in diesem Fall nicht den Stein, sondern die Leiterplatten, und einzelne Platinen waren derart stark geschädigt, dass keine Repara­tur mehr möglich war. Beim US-amerikanischen Hersteller wurden nach zehn Jahren keine Ersatzteile mehr vorge­halten.

Als Lichtstreif am Horizont erwies sich der Umstand, dass die Elektronik zwar marode war, Tieftöner und Trei­ber jedoch noch anstandslos ihren Dienst verrichteten und auch die Gehäuse die Dekade im Dach ohne nennens­werte Blessuren überstanden hatten. Der Gedanke, neue Elektronikmodule – welcher Art auch immer – in die gel­ben Gehäuse einzubauen, wurde verworfen, um nicht in zehn Jahren erneut vor einem ähnlich gelagerten Problem zu stehen. „In einem Stadion machen Aktivlautsprecher meist nur Ärger“, bringt Anselm Goertz seine Auffassung auf den Punkt. Goertz war von den Verantwortlichen kontaktiert worden, um mögliche Lösungsansätze für die missliche, den Stadionbetrieb zunehmend gefährdende Situation zu finden.

Das IFAA – Institut für Akustik und Audiotechnik über­nahm schließlich unter Leitung von Anselm Goertz die Planung für eine Revitalisierung der Beschallungsanlage in enger Abstimmung mit den Verantwortlichen der Aachener Stadion Beteiligungsgesellschaft mbH. Mit der Ausführung wurde im März 2021 begonnen, und die Abnahme erfolgte im August des gleichen Jahres, so dass die runderneuerte Anlage zu Saisonbeginn spiel­bereit war.

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Do-it-yourself unterm Dach

Die Entscheidung, die „unendliche Reparaturgeschichte“ (Zitat Goertz) zu beenden, fiel bereits im Jahr 2019, als unübersehbar wurde, dass auch die über das Stadiondach verlegten CobraNet-Netzwerkkabel verrotteten: „Bei der ursprünglichen Installation wurden Innenraumkabel ver­legt, die den Unbilden des Wetters sowie dem UV-Licht nach zehn Jahren nichts mehr entgegenzusetzen hatten“, berichtet Stefan Reitz. „Die Außenisolierung der Netzwerk­kabel zerbröselte, sobald man sie anfasste.“ Jan Knörn­schild ergänzt: „Es stand außerhalb jeder Diskussion, dass nun wirklich etwas passieren musste – die Frage lautete, wie die Aufgabe am besten zu lösen wäre.“

Line-Arrays oder Speaker-Cluster aufzuhängen, ist im Tivoli keine Option: „Die Beschaffenheit des Dachs macht es unmöglich, mehr als die bereits vorhandenen Lasten einzubringen“, erklärt Jan Knörnschild. Auch finanzielle Erwägungen fanden Eingang in die Audio-Gedankenspiele: „Hätten wir neue Lautsprecher angeschafft, wären wir bei Kosten von mehr als einer Million angelangt, was den verfügbaren Budgetrahmen gesprengt hätte“, sagt Jan Knörnschild. Für die Revitalisierung der Audioanlage wur­den letztlich mit allem Drum und Dran rund 370.000 Euro ausgegeben, also deutlich weniger als die Hälfte der bei einer Neuanschaffung zu entrichtenden Summe.

Kabelwege für Audio-Schrankpositionen im Aachener Tivoli
Leitungsführung: Für die neuen Schrankpositionen mussten geeignete Kabelwege geschaffen werden, wobei die Brandschutzbestimmun-gen zu berücksichtigen waren. Die Leitungen werden auf dem Dach durch Kabelbrücken geführt. (Bild: Jörg Küster)

Viele Arbeiten wurden vom Stadion-Team in Eigenleistung erledigt: So baute die Crew mit Unterstützung der Firma Lightemotions und de­ren Eigentümer Leo Künne unter anderem die alten Endstufenmodule aus den Lautsprechern aus und verschloss die offenen Rückseiten an­schließend mit Alu-Dibond-Verbundplatten, welche in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Brandschutzbeauftragten gewählt wurden. Die Arbeiten mussten in luftiger Höhe auf einem Steiger vorgenommen werden, da im Aachener Stadion kein Catwalk vorhanden ist – alle Laut­sprecher abzuhängen und auf dem Boden zu modifizieren, wäre laut Stefan Reitz zu aufwen­dig gewesen. An den neu angebrachten Deck­platten ist heute lediglich eine abgedichtete Öffnung für die zu den Chassis führenden Kabel vorhanden, welche intern über WAGO-Installa­tionsklemmen angeschlossen sind. Letztere er­setzen die im Originalzustand zum Einsatz kom­menden Klemmen aus der US-amerikanischen Autoindustrie.

Die Aktivlautsprecher wurden vormals mit Netzwerkleitungen und Strom versorgt. Wäh­rend der Umbauphase waren in einem ersten Schritt alle nicht mehr benötigten Leitungen aus den um das Dach führenden Kabelbrücken zu entfer­nen. Anschließend wurden von einer Fachfirma in einem zeit- und kostenintensiven Prozess für den Outdoor-Ein­satz spezifizierte Lautsprecherleitungen aus dem Portfolio von Sommer Cable verlegt, die in ihrer Beschaffenheit sämtlichen Brandschutzanforderungen genügen.

Früher auf dem Dach befindliche Verteilerschränke mit Netzwerk-Switches wurden demontiert und durch neue, 2,50 Meter hohe Schränke ersetzt, welche heute unter­halb des Dachs am oberen Ende des Tribünenbereichs platziert sind und von Gittern gegen Vandalismus ge­schützt werden. Hintergrund ist, dass die Dachkonstruk­tion keine zusätzlichen Lasten (konkret: jeweils fünf bis sechs Endstufen, drei Switches und weitere Elektronik) getragen hätte. Geeignete Kabelwege für die neuen Po­sitionen mussten geschaffen werden, wobei die Brand­schutzbestimmungen zu berücksichtigen waren.

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Extern statt intern

Zum Einsatz kommen in den Schränken heute achtkanalige IPX10:8-Endstufen aus dem Portfolio von Dynacord, welche die Verantwortlichen mit Aspekten wie einem modernen Class-D-Schaltungskonzept inklusive hohem Wirkungsgrad, praxisbekannter Zuverlässigkeit sowie einem vergleichsweise geringen Stromverbrauch in den Ruhe­phasen überzeugen konnten. Letzteres ist (nicht nur in Zeiten explodierender Strompreise) ein wichtiger Punkt, da sich die sicherheitsrelevante Prosound-Anlage auch jenseits von Spielen rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche im Standby-Modus befindet. Das integrierte DSP-System der IPX10:8-Endstufen stellt Filterfunktionen für digitale IIR- und FIR-Filter sowie mehrstufige Limiter zum Schutz der Laut­sprecher vor Überlastung bereit.

Acht-kanalige IPX10:8-Endstufen aus dem Portfolio von Dynacord
Always on: Zum Einsatz kommen heute acht-kanalige IPX10:8-Endstufen aus dem Portfolio von Dynacord. (Bild: Jörg Küster)

Jeder Schrank verfügt über zwei unabhängi­ge Zuleitungen für Strom (doppelt gepuffert über Akku/Generator) und Netzwerk, welche getrennt voneinander unterschiedliche Verstär­ker versorgen, so dass bei einem unerwartet auftretenden Fehler mit großer Wahrscheinlich­keit nicht alle Amps gleichzeitig tangiert werden. Die Ausgänge der Verstärker treiben darüber hinaus die Lautsprecher derart an, dass bei ei­nem eventuellen Ausfall einer Endstufe keine größeren Versorgungslöcher im Stadionrund entstehen.

Insgesamt wurden vier Amp-Cities an unterschiedlichen Positionen eingerichtet, wodurch die Kabellängen zwischen Endstufen und Lautsprechern überschaubar ausfallen und maximal Längen von 110 Meter erreichen. Die Rittal-Schänke sind selbstverständlich klimatisiert und somit für den zuverlässigen Betrieb der Elektronik im Sommer wie im Winter gerüstet.

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Im Messlabor

Da erwartungsgemäß keine Controller-Settings für die vormals self-powered betriebenen Renkus-Heinz-Speaker existierten, wurden die im Stadion zum Einsatz kommen­den Lautsprechertypen von Anselm Goertz im IFAA-Mess­labor analysiert. Für die Erstellung neuer Controller-Funk­tionen mit Filtern und Limitern wurden exakte Messwerte ermittelt, was nur in reflexionsfreier Umgebung möglich ist, da die Messungen andernfalls durch Reflexionen aus dem Umfeld verfälscht werden würden. Von jedem Laut­sprechertyp wurde daher eine Box im Stadion demontiert und ins Messlabor gebracht. Der Raum ist oberhalb von 100 Hertz reflexionsfrei und erlaubt Messentfernungen von bis zu 8 Meter, so dass auch größere Lautsprecher wie das Modell ST7 problemlos gemessen werden können. Alle Wege jedes Lautsprechertyps wurden im Labor separat ohne Filter gemessen. Ermittelt wur­den der Frequenz- und Phasen­gang sowie der Impedanzverlauf in Amplitude und Phase. Aus den Messergebnissen konnten geeignete Einstellungen für einen externen Controller abgeleitet werden.

Rittal Schrank mit zwei Switches des Typs Cisco SG350-10
Connections sind alles: In jedem Rittal Schrank sind je zwei Switches des Typs Cisco SG350-10 zu finden, welche mit den primären bzw. sekundären Netzwerkschnittstellen der Geräte verbunden sind. Der dritte auf dem Bild zu sehende Switch gehört zur Videotechnik. (Bild: Jörg Küster)

Das Modell ST7 (2 × 12″ plus 1 × 10″ und 1 × 2″ in Koax-Anordnung an 90×40-Horn) wird mit vier Endstufenkanälen betrieben (LF1, LF2, MF, HF). Die anderen RH-Lautspre­cher nutzen jeweils zwei Endstufenkanäle, so dass rein rechnerisch 148 Endstufenkanäle erforderlich sind. Im Stadion verbaut wurden letztlich jedoch 21 achtkanalige Endstufen mit insgesamt 168 Kanälen. Die 20 nicht ge­nutzten Kanäle ergaben sich durch die Aufteilung der Endstufen auf die vier Schränke sowie die Zuordnung der Lautsprecher.

Die Entzerrung der einzelnen Lautsprecherwege sowie die Crossover-Funktionen wurden mit linearphasigen FIR-Filtern realisiert. Erstellt wurden Letztere mit der Four Audio System-Software, anschließend in die IRIS-Net Software-Plattform und von dort in die DSP-Module von Dynacord IPX10:8-Endstufen übertragen. Bei der Einmessung wur­den IIR-Filter behutsam zur Anpassung des Gesamtsystems genutzt: „Wenn Lautsprecher in sich schon stimmig sind, sind nur noch kleine Korrekturen erforderlich“, so Anselm Goertz.

Zur Prüfung der neuentwickelten Setups wurden im La­bor Kontrollmessungen mit den Musterlautsprechern durchgeführt. Gemessen wurde neben dem Frequenz­gang zum Test der Limiter auch die Maximalbelastung. Dazu wurde ein Multisinussignal mit EIA-426B-Charakte­ristik eingesetzt, dessen Signalspektrum dem eines durch­schnittlichen Musiksignals entspricht. Gleiches gilt für den Crest-Faktor (Spitzenwert zu Effektivwert), der mit 4 (= 12 dB) ebenfalls einem üblichen Musik- oder Sprachsignal ent­spricht.

Das eher unkonventionelle Lautsprecher-Treatment wurde vom Hersteller unterstützt, wie Anselm Goertz be­richtet: „Schon bei früheren Reparaturen haben wir von Renkus-Heinz alle Pläne erhalten, und die neue Nutzung der Lautsprecher im Aachener Tivoli wurde einschrän­kungslos für gut befunden“, sagt Goertz über den Kon­takt mit Firmenchef (bzw. Sr. Vice President) Ralph Heinz.

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Safety first!

Im Innenraum des Stadions wird die Prosound-Anlage im Notfall zur Alarmierung eingesetzt, während in anderen Arealen eine ELA-Anlage mit mehr als 1.000 verteilten Lautsprechern für Sicherheit sorgt. Das Sprachalarmie­rungssystem stammt von TOA Electronics (VX-2000) und beinhaltet Sprechstellen an unterschiedlichen Positionen.

Über die TOA-Brandmeldeanlage können mehrere Rufkreise (RK) angesprochen werden:

  • RK1 Osttribüne Zone 1
  • RK2 Nordtribüne Zonen 2, 3 und 4
  • RK3 Westtribüne Zone 5
  • RK4 Südtribüne Zonen 6, 7 und 8
  • Gästeblock Zone 4
  • Alarm von der Brandmeldezentrale alle Zonen

Die Rufkreise RK1 bis RK4 sowie der Gästeblock kön­nen über die Sprechstellen der TOA-Anlage ausgewählt und angesprochen werden. Ebenso kann ein Sammelruf getätigt werden.

Ein automatischer Alarm von der Brandmeldezentrale (BMZ) erfolgt nur dann, wenn die Leitstelle des Stadions nicht besetzt ist. Entsprechende Ansagen befinden sich im Sprachspeicher der BMZ und werden von dort abge­spielt. Da eine automatische Alarmierung lediglich außer­halb von Veranstaltungen bei nicht besetzter Leitstelle erfolgt, ist der Alarmpegel gegenüber den direkt über die Sprechstelle abzusetzenden Ansagen im Pegel reduziert – es befinden sich ja keine größeren Personenzahlen im Stadion. Der Wert der Pegelabsenkung kann in der Be­diensoftware im nicht frei zugänglichen Bereich (Ebene „Alarm“ mit Passwort) eingestellt werden.

Die Signalzuspielung aus der TOA Brandmeldeanlage erfolgt parallel an zwei Matrix-Mischer (siehe unten) und ist zwecks Überwachung mit einem Pilotton belegt. Da die TOA-Anlage keinen konstanten Pilotton an ihren Aus­gängen erzeugen kann, wird dieser vom primären Matrix-Mischer erzeugt und über vier analoge Ausgänge an eine spezielle Direct-In-Karte (TOA VP-200VX-BGM) weiter­gereicht, von wo er in die vier Rufkreise der TOA-Anlage ge­langt. Das TOA-Sys­tem stellt seine Aus­gangssignale über 100V-Endstufen be­reit, deren Signale mit Übertragern (TOA ATT-100VI) auf Line-Pegel reduziert und auf die analogen Eingänge 1 bis 4 der beiden Matrix-Mischer geleitet werden.

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Matrix-Mix

Bei den erwähnten Matrix-Mischern han­delt es sich um Dyna­cord MXE5 Matrix-Mix-Engines. Die 19″-Audiomatrix (1 HE) mit 24 × 24 Kreuzpunkten bietet umfassende Rou­ting- und Mixing-Funktionen, verfügt über zwölf analoge Mikrofon/Line-Eingänge sowie acht Line-Ausgänge und unterstützt 24 Dante-Audiokanäle. Gleichzeitig ist die MXE5 Kommunikationszentrale für alle IP-basierten Peri­pheriegeräte und ermöglicht eine umfassende Überwa­chung aller systemübergreifenden Steuerungsfunktionen. Im Tivoli Stadion wird mit einer Abtastrate von 48 Kilo­hertz gearbeitet.

Dynacord MXE5 Matrix-Mix-Engines mit Dante-Gateway Bosch OMN-DANTE-GTW
Schaltzentrale: Die MXE5 Matrix-Mix-Engines sind aus Sicherheitserwägungen doppelt vorhanden. Ein Dante-Gateway Bosch OMN-DANTE-GTW reicht Dante-Feeds gemäß seiner Konfiguration unverändert bidirektional weiter, verhindert aber den netzwerkübergreifenden Zugriff. (Bild: Jörg Küster)

Die MXE5 Matrix-Mix-Engines sind aus Sicherheitserwä­gungen doppelt vorhanden: Beide Geräte (Main/Backup) laufen permanent mit exakt gleichen Einstellungen. De­tektiert eine Endstufe, dass sie von der primären MXE5-Matrix keinen 20-kHz-Pilotton mehr erhält, wird automa­tisch auf die zweite verfügbare MXE5-Unit umgeschaltet. Der Pilotton wird vor dem Leistungsteil der Endstufen durch ein Notch-Filter aus dem Audio-Content entfernt. Beide Matrix-Mischer spielen jeweils acht Signal-Feeds in das Netzwerk, welche sich auf folgende Tribünenbereiche (Zonen) beziehen:

  • Zone 1: Ost-Tribüne
  • Zone 2: Ecke Nord-Ost
  • Zone 3: Nord-Tribüne
  • Zone 4: Ecke Nord-West (Gästeblock)
  • Zone 5: West Tribüne (mit VIP und Presse)
  • Zone 6: Ecke Süde West
  • Zone 7: Süd Tribüne
  • Zone 8: Ecke Süd-Ost

Die MXE5-Matrix lässt sich über die neue Sonicue Sound-System-Software adressieren, welche bei Bosch Communications künftig die Steuerung aller vernetzten Geräte innerhalb eines Systemverbunds übernehmen soll. Produkte wie die MXE5 sind bereits vollständig eingebun­den, während Endstufen wie das Dynacord Modell IPX10:8 lediglich in Teilbereichen mit der neuen Software pro­grammierbar sind. Erwünschte Funktionen wie die Über­wachung einzelner Endstufenkanäle wurden von Anselm Goertz daher unter Einbindung der etablierten IRIS-Net Software-Plattform realisiert.

Aus der Regie ist im normalen Spielbetrieb der Zugriff auf die Sound-System-Software Sonicue mittels einer übersichtlich gestalteten Bedienoberfläche mit Stadion-Grundriss möglich – beispielsweise, um nicht mit Perso­nen besetzte Areale von der Beschallung auszuklammern. Da Alemannia Aachen aktuell in der vierten Liga spielt, können bei Matches im Tivoli durchschnittlich 6.000 Gäs­te begrüßt werden, so dass viele Tribünenplätze frei blei­ben und aus naheliegendem Grund nicht beschallt wer­den sollen. „Wir schalten einfach die Bereiche ab, die nicht genutzt werden“, erklärt Jan Knörnschild. Detaillier­tere Eingriffe in das Beschallungssystem bleiben bei der Sonicue Sound-System-Software dem geschützten Admi­nistrator-Modus vorbehalten.

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Doppeltes Dante statt CobraNet

Statt dem inzwischen in die Jahre gekommenen Cobra­Net ist im Aachener Tivoli heute Audinate Dante das Audio­protokoll der Wahl. Zuspielungen und Mikrofonsignale aus der Stadionregie (zurzeit insgesamt zehn Feeds) oder aus einem Medienwagen werden per Dante in die MXE5 überspielt und von dort ebenfalls via Dante den Endstufen zugeführt. Sowohl MXE5 als auch die Leistungsverstärker sind mit dem Dante Brooklyn-II-Modul ausgerüstet und unterstützen die Übertragung von Primary- und Secondary-Port samt automatischer Umschaltung. „Wir haben kon­sequent auf Redundanz und eine doppelte Verkabelung bis in die Endstufen geachtet“, merkt Jan Knörnschild an.

Gruppenbild im Aachener Tivoli: Stefan Reitz, Jan Knörnschild und Anselm Goertz (von links)
Gruppenbild: Stefan Reitz, Jan Knörnschild und Anselm Goertz (von links) (Bild: Jörg Küster)

In jedem Verstärkerschrank sowie in die Zentrale sind je zwei Switches des Typs Cisco SG350-10 zu finden, welche mit den primären bzw. sekundären Netzwerkschnittstellen der Geräte verbunden sind. Die Switches der vier Schränke sind dabei sternförmig über LWL mit der Zentrale verbun­den. Somit existieren zwei vollständig unabhängige Netz­werke, die vom Dante-System als primäre und sekundäre Struktur genutzt werden. Sobald das primäre Netzwerk eine Störung aufweist, schaltet das Dante-Netz automa­tisch verzögerungsfrei auf das sekundäre Netz um. Alle Geräte im Dante-Netz wurden dazu im „Glitch Free“-Modus konfiguriert.

Auch die sicherheitsrelevante Ansteuerung aus der Brandmeldezentrale erfolgt doppelt über Dante. Um unerwünschte Manipulationen durch stadionfremde Techniker:innen zu unterbinden, die sich bei Veranstaltungen auf das Dante-Netzwerk aufstecken und anschließend möglicherweise Freude am Experimentieren mit der Netzkonfiguration entwickeln, kommt ein Dante-Gateway Bosch OMN-DANTEGTW zum Einsatz. Das Gateway reicht Dante-Feeds gemäß seiner Konfiguration unverändert bidirektional weiter, verhindert aber den netzwerkübergreifenden Zugriff (Regie-Netz vs. „Dyna­cord-Netz“ für die Beschallungsanlage) auf die Konfigurationseinstellungen. „Eine Hardware-Lösung ist mir an dieser kritischen Stelle deutlich lieber als der Dante Do­main Manager“, kommentiert Anselm Goertz.

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Lob vom Sachverständigen

Da es sich bei der Beschallungstechnik im Stadion um eine sicherheitsrelevante Anlage handelt, wurde sie ab­schließend durch einen sachverständigen Prüfer abge­nommen. Dieser beschrieb die Anlage gemäß Aussage von Bernhard Deil als „eine der besten Stadionbeschal­lungsanlagen“, die er in den vergangenen Jahren prü­fen durfte, und bescheinigte ihr „eine hervorragende Sprachverständlichkeit und Klangqualität“. Der Ge­schäftsführer der Aachener Stadion Beteiligungsgesell­schaft mbH zeigt sich ob des Lobs aus berufenem Munde erfreut: „Sehr gute und motivierte Mitarbeitende, ge­paart mit geballter Kompetenz aus Wirtschaft und Wis­senschaft, haben im Tivoli eindrucksvoll aufgezeigt, dass Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und ein sehr gutes Ergebnis keine Gegensätze sein müssen“, konstatiert Bernhard Deil.

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Upcycling für mehr Nachhaltigkeit

In einer Zeit, in der nachhaltiges Wirtschaften nicht nur bei jungen Angehörigen der „Generation Greta“ hoch im Kurs steht, präsentiert sich das Aachener Tivoli-Stadion als Trendsetter: „Upcycling“ lautet das hippe Buzzword der Stunde. Auch andere deutsche Stadien haben ent­sprechende Möglichkeiten bereits erkannt und die Auf­wertung von vorhandenem Technikmaterial in Angriff ge­nommen. Die Maßnahmen überzeugen dabei auch Men­schen, die mit oft unter dem Kürzel ESG zusammenge­fassten Kriterien eher wenig anfangen können: Werden in Stadien etwa rund um die Uhr laufende „19-Zoll-Heiz­kraftwerke“ durch Endstufen neueren Typs ersetzt, kann unter Verweis auf rasant steigende Strompreise überzeu­gend dargelegt werden, in welch kurzer Zeit sich eine Investition alleine in Bezug auf den Stromverbrauch amor­tisiert.

Im Aachener Tivoli Stadion wurde durch das „Upcycling“ der Beschallungsanlage nicht nur der Verbrauch von Res­sourcen reduziert, sondern auch das Budget wurde er­heblich geringer strapaziert, als es bei einem Komplett­austausch aller Komponenten der Fall gewesen wäre. Losgelöst von pekuniären Aspekten kommt die überarbei­tete Beschallungsanlage in puncto Klang hervorragend an: Jan Knörnschild berichtet sichtlich angetan über durchweg positive Rückmeldungen, die von ganz unter­schiedlichen Personen an ihn herangetragen wurden und werden. Hörbare Beeinträchtigungen der Wiedergabe, welche vor dem Umbau immer wieder bedingt durch den Ausfall einzelner Komponenten oder nicht korrekt funktionierende Übertragungswege auftraten, konnten erfolgreich ausgeräumt werden. Insbesondere die Sprachverständ­lichkeit hat sich nach Knörnschilds Worten wesentlich verbessert, und auch die Musikwiedergabe überzeugt inzwischen wieder auf ganzer Linie. Jan Knörnschild fasst zusammen. „Wir freuen uns, dass das komplexe Vorha­ben preislich stemmbar war und wir eine hervorragende Qualität erreichen konnten. Alle Beteiligten haben in ab­solut angenehmer Art und Weise harmonisch zusammen­gearbeitet, was dem Ergebnis ohne Frage zuträglich war. Wir sind absolut zufrieden!“

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Web-Links

>> www.stadion-tivoli.de

>> www.ifaa-akustik.de

>> www.lightemotions.net

>> www.renkus-heinz.com

>> www.dynacord.com

>> www.toa.de

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