Im Spannungsfeld zwischen ästhetischem Anspruch und Akustik in Multifunktionsräumen
Architektur und elektroakustisch optimierte Raumakustik
von Redaktion,
Was das Auge erfreut, ist bisweilen ein Graus für die Ohren. Das trifft beispielsweise dann zu, wenn außergewöhnliche Architektur überwiegend aus optischen Gesichtspunkten geplant und die Raumakustik dabei vernachlässigt wurde. Oder wenn eine Räumlichkeit akustisch lediglich auf ein Nutzungsszenario ausgelegt wurde, aber multifunktional genutzt werden soll. Gastautor Joachim Schwarz, Geschäftsführer der MediasPro Medientechnik GmbH, erläutert anhand eines renommierten Libeskind-Baus, wie sich die Raumakustik durch den Einsatz von elektroakustischen Systemen – nachträglich oder von vorneherein – verbessern lässt.
Der eine oder andere mag sich noch erinnern: Anfang der 1990er-Jahre wurde der neue Bundestag in Bonn sehr ästhetisch und mit viel Glas und Geld erbaut. Überspitzt formuliert war der eine oder andere nach der Fertigstellung aber überrascht, wie scheußlich Sprache in diesem Gebäude der politischen Kommunikation klang und wie wenig akustisch verständlich die Reden beim Zuhörer ankamen. Die optische Ästhetik hatte hier gewonnen und ein Glaspalast wurde durchgesetzt – leider zu dem Preis, dass die Mitglieder des Bundestags nicht oder nur schlecht zu verstehen waren. Architektur und Akustik passten nicht zusammen. Nun kann argumentiert werden, dass dies nur eine Ausnahme und in anderen Installationen die Diskrepanz niemals so groß sei. Die Realität zeigt aber, dass die meisten großen Gebäude – ob Stadthallen, Konzert- und Opernhäuser, aber auch Schulen, Medienräume, Mehrzweckhallen und Konferenzsäle – unter ähnlichen Defiziten leiden, wenn auch vielleicht nicht so drastisch.
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Was heißt das nun? Es bedeutet, dass viele Räume eventuell für eine Nutzungsart geeignet sind. Zum Beispiel ist ein Theater oft für Schauspiele optimiert, kann aber guten Gewissens auch nur dafür verwendet werden. Stadthallen leiden häufig ebenfalls darunter, dass sie – obwohl anders gedacht und geplant – nur für eine Kunstsparte geeignet sind. Große Konferenzsäle mit Bühne und Bestuhlung können tatsächlich meist ausschließlich für Konferenzen genutzt werden. Ein abendliches Unterhaltungsprogramm leidet dann sehr unter der trockenen, akustischen Atmosphäre. Nun könnte gesagt werden, dass der hauptsächlichen Anwendung, nämlich eine Konferenz zu führen, Genüge getan wurde. Die entspricht allerdings nicht den heute üblichen Ansprüchen und Anforderungen.
Praxisbeispiel Wohl Center bei Tel Aviv
Hierzu ein Beispiel aus der Praxis: Auf dem Gelände der Bar-Ilan Universität bei Tel Aviv fällt das Wohl Center ins Auge – ein Konferenz- und Veranstaltungsgebäude des international renommierten Architekten Daniel Libeskind. Das Gebäude ist außergewöhnlich, ästhetisch, einmalig. Wie es sich für eine Universität gehört, sollte der große Hörsaal für unterschiedliche Veranstaltungsvarianten genutzt werden. Dabei sollte gewährleistet sein, dass neben Konferenzen und Vorträgen auch Theater- sowie Musikaufführungen jeglicher Couleur zu einem einmaligen und unvergesslichen Erlebnis werden. Der Saal zeichnet sich aber durch viele Ecken, schiefe Ebenen, Winkel, überstehende Balustraden und eine unsymmetrische Raumgestaltung aus. So war schon in der Planungsphase schnell klar, dass die angestrebte Verständlichkeit und der Hörgenuss im Hinblick auf die zahlreichen Nutzungsvarianten in vielen Bereichen nicht der optischen Qualität des Raumes entsprechen würden.
Eine Lösung wäre gewesen, mit akustisch wirksamen Ampeln und mit Lautsprechern Abhilfe zu schaffen. Sichtbare Lautsprecher hätten allerdings den optischen Eindruck des Saales gestört und kamen deshalb nicht in Frage. Um die gesteckten Ziele trotzdem zu erreichen, gab es in der Findungsphase unterschiedliche Vorschläge und Konzepte, die aber meist nur eine Veranstaltungsart optimal unterstützt und die anderen dabei in erheblichem Maß beeinträchtigt hätten. Ausgehend vom Entwurf und den Vorgaben des Architekten wurde daher ein Konzept entwickelt, das sich der akustischen Defizite annahm und eine individuelle Lösung für alle Nutzungsvarianten bot. Diese wurde im Jahr 2005 in Betrieb genommen und gestattet seither die vollumfängliche Nutzung dieses architektonischen Juwels.
Individuelle Akustik für alle Nutzungsszenarien
Was also wurde getan? Die Auftraggeber forderten Gutachten an und die tschechischen Akustiker Zdenek Kešner und Michael Antek schlugen ein ungewöhnliches akustisches Konzept vor: Durch veränderte Materialien und Flächenabsorber im Innenraum wurden in der Simulation zuerst unerwünschte akustische Nebeneffekte und Reflexionen eliminiert. Hierdurch wurde eine weitgehend homogene, wenn auch verhältnismäßig nachhallarme Akustik geschaffen. Als entscheidende Maßnahme planten die beiden Akustiker den Einsatz eines regenerativen Akustikprozessor- Systems. Ziel war es, dem optimierten, aber zu trockenen Raum so die für die jeweiligen Veranstaltungen fehlenden frühen Reflexionen und Hall hinzuzufügen. Das Konzept folgte dem Prinzip, den realen Raum mit einem auf den Vorgaben basierenden künstlichen Raum zu umgeben und dadurch alle akustischen Faktoren auf das gewünschte und notwendige Niveau zu heben.
Der regenerative Akustikprozessor erhält seine Signale von zahlreichen Bühnen- und Raummikrofonen. Die Bühnensignale dienen dabei vor allem der Erzeugung früher Reflexionen, die für Raumempfinden, Klarheit und Verständlichkeit zuständig sind. Die Raummikrofone sorgen mittels einer komplexen Matrizierung im Prozessor für Diffusschall. Das Signal entspricht dann in Klang und Abklingverhalten natürlichem Raumhall und liefert hierdurch den für die Optimierung eines Schallereignisses – wie Musik oder Sprache – passenden Raumeindruck. Im Wohl Center wurden dazu verdeckt in Wänden und Decken installierte Lautsprecher mit einer weitwinkligen Dispersion vorgeschlagen. Hinzu kamen acht von der Decke abgehängte Podiumsbeziehungsweise Bühnenmikrofone und weitere 24 von der Decke abgehängte Raummikrofone – allesamt so gut wie unsichtbar.
Dieses Konzept überzeugte die Bauherren und auch Daniel Libeskind. Die Tatsache, dass es sich bei dem künstlichen Raum um ein optimiertes akustisches Abbild des existierenden realen Raumes handelt, der aber nun durch speicherbare Szenarien allen Nutzungsvarianten eine individuelle Akustik zur Verfügung stellt, machte alle anderen Ideen obsolet. Denn es bedeutete, dass der Raum ein hohes Nutzungspotenzial bereitstellt – ganz im Sinne des Betreibers. Das Zentrum wurde daraufhin ohne sichtbare Veränderungen gebaut und zur Zufriedenheit aller Beteiligten stimmten die akustische Simulation und die Realität in hohem Maß überein.
Aktive Akustiksysteme und ihre Vorteile
Bei dem im Wohl Center verwendeten System handelt es sich um ein VRAS (Variable Room Acoustic System). Ein ähnliches Ergebnis wäre genauso auch mittels des weiter fortgeschrittenen, hochmodernen Amadeus-Systems möglich gewesen. Beide Systeme gehören zur Kategorie Aktive Akustik beziehungsweise Akustische Architektur (engl. architectural acoustics), denn sie bilden – ausgehend vom realen Raum – einen virtuellen Raum, der die existierende Architektur unterstützt. Eine auf regenerativer Signalbearbeitung beruhende Aktive Akustik kann in der Regel neue, aber auch existierende Räume und Hallen ohne drastische architektonische Veränderungen und Baumaßnahmen optimieren. Bausünden, die zu einer schlechten Grundakustik führen, müssen vorher allerdings beseitigt werden. Die Vorteile eines solchen Systems sollen im Folgenden erläutert werden:
Um ideale akustische Verhältnisse in Räumen zu erreichen, sind Architekten gezwungen, viele Parameter im geometrischen Grundkonzept einer Halle sowie akustisch wirksame Maßnahmen zu beachten. Die künstlerische Freiheit der Gestaltung rückt dabei schnell in den Hintergrund. Einer guten Akustik im Wege stehende bauliche Eigenschaften können durch Aktive Akustik korrigiert werden.
Historische Gebäude unterliegen häufig den strikten Regeln des Denkmalschutzes. Eine bauliche Veränderung des Innenraums ist daher meist – wenn überhaupt – nur in geringem Maße möglich. Ein regeneratives Raumakustiksystem gestattet mit geringen, teils auch mobilen Anpassungen eine Optimierung des verfügbaren Raums.
Die zumeist geringen notwendigen baulichen Eingriffe bei bestehenden Gebäuden gestatten häufig auch den Einbau eines Systems während der Spielzeit. Der Betrieb kann aufrechterhalten werden, was zu einer beachtlichen Verbesserung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses führt.
Eine gleichmäßige, den Veranstaltungen angepasste Akustik bedeutet eine bessere Nutzung, da unterschiedliche Nutzungsvarianten in einem optimalen akustischen Ambiente möglich werden. Hierdurch wird auch eine Steigerung des Ertrags erreicht.
Ein Wechsel der akustischen Gegebenheiten, z. B. für Oper, Schauspiel, Vortrag, Orchester und mehr, kann durch Abruf gespeicherter Voreinstellungen mittels klar gekennzeichneter Tasten ausgelöst werden. Die Anforderungen unterschiedlicher Genres können so entspannt zur Verfügung gestellt werden und lassen Raum für Kreativität und Flexibilität bei der Realisierung anspruchsvoller Inszenierungen.
Aktive Akustik eignet sich für Räume unterschiedlicher Art und Größe. Die Bandbreite zeigen weitere Referenzen wie das Congress Centrum Alpbach in Österreich, das Kongresszentrum Prag, die Oper Tel Aviv, der Tschaikowski Saal der Moskauer Philharmonie, das Staatstheater Darmstadt, das Kreuzfahrtschiff MS Aurora, der Kommunikations- Akustik-Simulator im Forschungs- und Seminarraum des Hörzentrums Oldenburg und viele mehr.
Fazit
Aktive Akustik ist eine moderne, zukunftssichere Erweiterung der Möglichkeiten von Architekten und Bauherren. Sie ist flexibel und liefert trotz des technischen Aufwands natürliche Ergebnisse. Hierin unterscheidet sie sich deutlich von sogenannten „Inline“-Systemen, die dem existierenden Raum wenig Beachtung schenken, sondern ihm ähnlich eines Hallgeräts im Studio eine – ironisch gesprochen – „Klangmütze“ überziehen. Zum Schluss noch eine Bemerkung zu den Kosten: Der Einsatz eines Systems der Kategorie Aktive Akustik verursacht nur einen Bruchteil der sonst für die notwendigen Baumaßnahmen anfallenden Kosten und bietet gleichzeitig eine höhere Flexibilität.
Autor: Joachim Schwarz
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