Outdoor-Installation

UWB-Ortung sorgt für Orientierung im Stadtteil der Sinne

Mit einer Kombination aus UWB-Ortung aus Logistikanwendungen und Dante-Audio­system wird in Berlin die Welt von blinden und sehbehinderten Menschen erfahrbarer gemacht. Ein Rundgang durch den „Stadtteil der Sinne“, der auch Schulungen dient.

Stadtteil der Sinne – Outdoor-Installation(Bild: Matthias Fuchs)

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Inhalt dieser Case Study:


Das Auge gilt zweifellos als unser wichtigstes Sinnesorgan. Ist seine Funktion beeinträchtigt, bedeutet das für die Betroffenen eine grundlegende Umstellung nahezu sämt­licher Lebensumstände. Das Blindenhilfswerk Berlin e.V. steht daher blinden und sehbehinderten Menschen seit 1886 mit vielfältigen Wohn-, Bildungs- und Freizeitange­boten und hoher Kompetenz zur Seite. Im Sommer 2023 wurde auf dem Vereinsgelände im Berliner Bezirk Steglitz dann der „Stadtteil der Sinne“ eröffnet – ein etwa 300 Quadratmeter großes Gartenareal, welches der Öffent­lichkeit das Thema Sehbehinderung näherbringt. Als Schulungsbereich bietet es zudem ein Basistraining für blinde und sehbehinderte Menschen.

Dabei handelt es sich um einen etwa 150 Meter langen, begehbaren Parcours mit sieben Stationen, die dem „User“ akustisch und haptisch Alltagssituationen aus dem städtischen Umfeld vermitteln (Straßenverkehr, ÖPNV usw.). Carsten Zehe, Geschäftsführer des Blindenhilfs­werks Berlin e.V., erklärt die Ausgangsbedingung: „Wie führt man einen nicht sehenden Menschen sicher und zuverlässig durch eine ihm unbekannte Umgebung? Üblicherweise durch taktile Leitsysteme und akustische Sig­nale – das ist grundsätzlich nichts Neues. Interessant und technisch anspruchsvoll wird es jedoch, wenn man einer Person an einer bestimmten Position ganz spezifische au­ditive Inhalte vermitteln will – und das, ohne die betref­fende Person dazu mit spezieller und ggf. aufwendiger Technik ausstatten zu müssen.“

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Ortung mittels UWB-Tracking

Zu diesem Zweck wurde zunächst im Hause ein Konzept für die Inhalte der Installation erarbeitet und über technische Lösungen nachgedacht. Für die Realisierung fiel die Wahl schließlich auf das Berliner Unternehmen Detail­klang. Detailklang verfügt über mehrjährige Erfahrung als Anbieter von Mediensystemen und Beschallungskonzep­ten unterschiedlichster Ausführung.

Gesprächspartner Martin Hachmann von Detailklang betont jedoch die Einzigartigkeit dieses Projekt und die Attraktivität der damit verbundenen Herausforderungen: An erster Stelle stand hier die Frage nach einem geeigne­ten Ortungssystem, welches User zuverlässig auf dem Ge­lände erkennt und es somit ermöglicht, über den ihnen nächstgelegenen Lautsprecher punktuell ganz bestimmte Audioinhalte – Geräusche oder gesprochene Texte – zu vermitteln.

Sonance Landscape
Outdoor-Lautsprecher: Einer der 23 Sonance Landscape (Bild: Matthias Fuchs)

Unterschiedlichste Konzepte, darunter Lichtschranken, WLAN, Bluetooth oder andere, Smartphone-basierte Tech­nologien wurden als zu ungenau, unzuverlässig oder zu umständlich in der Handhabung verworfen. Schließlich ent­schied man sich für ein Ultra-Wideband(UWB)-Tracking des estländischen Herstellers Eliko. Es bietet Positions­genauigkeiten von 10 bis 50 Zentimetern, bis zu 100 Positionsabfragen pro Sekunde, geringe Störanfälligkeit und die Nutzung extrem großer Frequenzbereiche mit einer Bandbreite von mindestens 500 MHz. Die Positions­bestimmung selbst erfolgt durch Laufzeitermittlung zwischen einem bewegten Objekt („Tag“) und mindestens drei Empfängern („Anchors“). Üblicherweise werden solche Systeme für komplexe Logistikanwendungen genutzt. Dank der hoch spezialisierten „Zweckentfremdung“ stieß das Projekt trotz des vergleichsweise geringen Budgets beim Hersteller Eliko schnell auf großes Interesse.

Eliko UWB-Tracking
Eliko UWB-Tracking: Das Ortungssystem besitzt sechs Ankerpunkte; jeweils drei sind in etwa 4 Metern Höhe an den Längsseiten des Geländes gegeneinander versetzt angeordnet und scannen das gesamte Gelände. (Bild: Matthias Fuchs)

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Orientierung via Audio: bis zu 32 Streams parallel

Audioseitig besteht die wetterfeste Installation aus 23 passiven Outdoor-Lautsprechern vom Typ Sonance Landscape Series, die an bestimmtem Punkten des Geländes weitgehend unsichtbar fest montiert wurden. Sie zeichnen sich durch eine hohe Audioqualität aus. Darüber hinaus findet sich noch ein Subwoofer und ein Körperschall­wandler, im Stadtteil der Sinne als „Bassplatte“ bezeich­net. Letztere dient der taktilen Vermittlung eines Schallereignisses. Auf Dante-Lautsprecher wurde verzichtet. Durch die große Anzahl der Schallquellen lassen sich ein­zelne Besucher direkt ansprechen und sehr realistisch wir­kende Verkehrsszenarien erzeugen. Eine flächige Beschal­lung des Geländes sollte bewusst vermieden werden.

Körperschallwandler
Bassplatte: Der Körperschallwandler sorgt für eine taktile Geräuschwahrnehmung. (Bild: Matthias Fuchs)

Die Lautsprecher werden angetrieben durch sechs Powersoft Mezzo DSP-Endstufen und eine Quattrocanali 1204 DSP+D. Gesteuert wird dieses Soundsystem von einem Core-510i-Systemprozessor mit Dante-Erweiterungskarte aus dem Hause QSC. Er spricht jeden Lautsprecher über einen eigenen Dante-Kanal an und ist flexibel routbar. Ins­gesamt sind bis zu 32 Audiostreams parallel abspielbar.

Ampelanlage
Ampelanlage: Da Original-Verkehrsampeln nicht zur Verfügung standen, besorgte Detailklang eine Ampelanlage über einen Ausstatter von Verkehrsübungsplätzen. (Bild: Matthias Fuchs)

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Schnittstelle

Während es sich bei den bisher aufgeführten Komponen­ten um eine Kombination aus handelsüblichen Produkten handelt, stellt die Schnittstelle zwischen Tracking-und Audiosystem in weiten Bereichen eine Neuentwicklung von Martin Hachmann dar: Sie nutzt QSCs Program­mierumgebung Q-Sys und erweitert sie um eigene, für dieses Projekt maßgeschneiderte und in der Skriptsprache Lua erstellte Skripte. Diese Software bereitet die Daten des Tracking-Systems so auf, dass der QSC Core-510i-Prozessor in der Lage ist, in bestimmten Momenten das passende Audiosignal auszuwählen und auf ganz be­stimmte Lautsprecher zu routen. So kann im Bedarfsfall ein mit einem Tag ausgestatteter User an jeder beliebigen Stelle des Geländes latenzfrei ein bestimmtes Soundereig­nis auslösen.

Erdarbeiten
Erdarbeiten: Während der Bauphase wurde das gesamte Gelände vollständig umgestaltet und Kanäle für die Verkabelung angelegt; die Verkabelung ist wartungsfrei. (Bild: Matthias Fuchs)

Die Software bietet derzeit mehrere Szenarien, die auf einfache Weise aufgerufen werden können. So lässt sich das System mit nur wenigen Klicks etwa von einem Schulklassenbesuch auf eine Sehbehinderten-Schulung umstellen. Ein Tablet dient als Fernbedienung und Editier-Oberfläche des Systems. Mittels Skript-Erweiterungen las­sen sich auch neue Szenarien nach Belieben erstellen. So bleibt die Anlage trotz der fest installierten Hardware langfristig flexibel nutzbar.

Steuerungstechnik
Steuerungstechnik: Der QSC Core-510i-Prozessor, die Endstufen und die Netzwerktechnik befinden sich im Heizungskeller des benachbarten Gebäudes. Der dortige, von Martin Hachmann zusammengestellte Technikschrank beherbergt an oberster Position eine ferngesteuerte Netzsteckdose mit Temperatursensor zur Steuerung eines Lüfters. Darunter befindet sich ein AVLine-Switch von Netgear mit vorkonfigurierten Presets für AV-Anwendungen wie etwa Dante. Es folgt eine Patchbay für die Kabel in das Freigelände. Darunter befindet sich der Server des Eliko Tracking-Systems. Er wertet die Informationen des Systems aus und sendet seine Daten in das Control-LAN, in dem sich auch der QSC Core-510i-Prozessor befindet. Nicht sichtbar hinter einem der Lüftungsgitter befindet sich ein Musik-Streamingsystem, welches sich via Smartphone steuern lässt. Etwa mittig erkennt man das Sennheiser-Wireless. Darunter folgen die sechs 324AD Dante-Endstufen von Mezzo mit einer Leistung von je 4 × 80 Watt. Dank Power-Sharing lässt sich die Gesamtleistung sehr effektiv nutzen. Die große Endstufe darunter betreibt den Subwoofer und die Bassplatte. Ganz unten befindet sich eine, von Martin Hachmann konzipierte Relais-Schaltung für die Steuerung der Ampelanlage. Hier erfolgt die Anbindung an den QSC Core über ein General-Purpose-Interface. (Bild: Matthias Fuchs)

Zudem muss die Software sicherstellen, dass Audio­ files auch bei maximal hoher Personendichte auf dem Gelände nicht irrtümlich mehrfach abgespielt oder ausge­lassen werden, sich nicht gegenseitig unterbrechen oder Ähnliches. Via Tablet kann der „Vorführer“ bei Bedarf ak­tiv in die Abläufe eingreifen und etwa Audiofiles manuell auslösen. Auch eine Ansprache an die Besucher mittels Sennheiser-Funkmikrofon ist möglich.

Steuerungs-Software
Zwei Ansichten der Steuerungs-Software: Sie bietet Funktionen zur einfachen Auswahl von Presets („Programmen“) für verschiedene Szenarien sowie Echtzeit-Eingriffsmöglichkeiten in deren Ablauf. Zudem lassen sich mehrere Abspielparameter beeinflussen. (Bild: Matthias Fuchs)

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Umsetzung

Neben dem Blindenhilfswerk Berlin und Detailklang war auch eine örtliche Gartenbaufirma mit der Realisierung des Projekts betraut. Es wurden zunächst das Gelände sowie der Untergrund vorbereitet und Gräben für die Kabelverle­gung angelegt. Laut Martin Lachmann entschied man sich für hochwertige, mittels Gel-Mantel geschützte Outdoor-Kabel und PVC-Rohre. Dank der flexiblen Software-Lösung ist die Anlage langfristig ausreichend variabel angelegt. Zu­dem sind sämtliche Verbindungspunkte zwischen Kabeln und Geräten jederzeit problemlos zugänglich.

Installationskomponenten
Übersicht: Anordnung sämtlicher Installationskomponenten (Bild: Matthias Fuchs)

Die in der Installation abzuspielenden Audiofiles, im Wesentlichen Verkehrsgeräusche und sprachliche Inhalte, wurden vom Berliner Sounddesigner Patrick Zahn zusam­men mit dem Blindenhilfswerk Berlin e.V. erstellt. An den Sprachaufnahmen waren auch zahlreiche auf dem Vereins­gelände wohnende blinde und sehbehinderte Menschen beteiligt. Als zusätzliche Audioquelle dient ein Player, der die Installation bei Bedarf als Beschallungsanlage nutzbar macht – etwa für Veranstaltungen des Blindenhilfswerkes.

Die Umsetzung nahm, inklusive Planung und Baupau­sen, etwa eineinhalb Jahre in Anspruch. Ein nicht unbe­trächtlicher Anteil entfiel auf die Entwicklung der Tracking/ Audio-Schnittstelle mitsamt des User-Interfaces.

Carsten Zehe und Elfi Schwab
Projekt-Team: Carsten Zehe und Elfi Schwab vom Blindenhilfswerk Berlin e.V. mit Martin Hachmann, Detailklang (v.r.n.l.) (Bild: Matthias Fuchs)

Das gesamte Netzwerk ist in vier VLANs unterteilt – je eines für das Tracking-System, für Dante, für die Steue­rung und ein weiteres für Wartungszwecke. Die Span­nungsversorgung der Geräte im Außenbereich erfolgt über PoE. Neben den LAN-Kabeln sind also keine weite­ren Verkabelungen notwendig. Eventuelle Erweiterungen, wie etwa des Dante-Systems, erfordern keine zusätzlichen Stromversorgungen – gerade im Outdoor-Bereich ist das sehr praktisch.

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Web-Link

>> Blindenhilfswerk Berlin e.V.

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